Zweimal im Jahr erwartet mein Zahnarzt, dass ich mich einer Dentalhygiene unterziehe. Das heisst, während etwa 45 Minuten rückt eine Dentalhygienikerin meinem Zahnstein auf die Pelle. Warum ich immer wieder Zahnstein bilde, verstehe ich nicht recht. Das hänge sehr stark vom Speichel ab, sagt man mir. Mein Lexikon meint zum Stichwort Zahnstein: harte Ablagerung von Salzen und bakterienhaltigen, organischen Stoffen am Zahnhals; sollte regelmässig vom Zahnarzt entfernt werden.»
Das mache ich also. Wenn ich den Behandlungsraum betrete, ziehe ich meine Brille ab und lege mich auf den Zahnarztstuhl. Er ist sehr bequem und über mir, an der Decke, hängt. das vergrösserte Foto eines Teichs mit Seerosen, auf deren grünen Blättern Wassertropfen liegen. Ein beruhigendes Bild. Wenn sich dann die Steinbrucharbeiterin über mich neigt, ihr Gesicht ist hinter einer Brille und ·der Schutzmaske nicht mehr zu erkennen, dann befällt mich sofort eine gewisse Unruhe. Wenn ich dann meinen Mund öffnen muss, nimmt die Spannung zu. Dabei passiert noch gar nichts, ausser dass die gute Frau mein Gebiss begutachtet und wie immer kopfnickend sagt: «Zahnstein hat sich etwas gebildet und die Verfärbung ... Ich frage nicht mehr, weil ich inzwischen weiss, es ist der Kaffee und der Tee, die das Weiss meiner Zähne dunkel färben.
Nach dieser Begutachtung schreitet meine Dentalhygienikerin zur Tat. Ich bekomme einen saugenden Schnorchel in die linke Mundecke und in der rechten beginnt sie ihre Arbeit früher war das ein gekrümmter Zacken, mit dem sie den Zahnstein abkratzte. Heute geht das mit einem Ultraschallgerät. Mit ganz vielen Schwingungen streichelt eine nadelähnliche Spitze über meinen Zahnstein hinweg und schon geht der in die Brüche. Mit dem Streicheln ist das so eine Sache. Manchmal spüre ich gar nichts. Nur das rasche Schwingen erzeugt einen pfeifenden hohen Ton, der von einem kühlenden Wasserstrahl begleitet ist. Der Schnorchel schluckt das aber geräuschvoll auf. Manchmal aber zuckt mein ganzer Körper. Es sind immer nur Bruchteile einer Sekunde, wo die vibrierende Nadel bestimmte empfindliche Stellen einiger Zähne berührt, die ich dann als schmerzlich empfinde. Reflexartig zucke ich, aber dann ist die Nadel bereits wieder an harmlosen Stellen.
Eigentlich ganz gut so. Aber irgendeine Stelle im Gehirn sagt: «Pass auf, das kommt gleich wieder.» Und das Gehirn hat recht mit seiner Warnung. Ich schicke gleich zu Beginn, wenn ich mich hinlege, meinem Gehirn einen Entspannungsbefehl. Das funktioniert am Anfang sehr gut. Mit der Anzahl meiner Zuckungen aber nimmt die Entspannung ab. Nach jedem neuen Entspannungsversuch lege ich meine Hände ganz locker auf meine Oberschenkel. Aber kaum achte ich wieder auf diese Hände, sehe und spüre ich, wie sie sich in meine Oberschenkel hineingraben. Ich staune, wie mühelos und unbewusst die Anspannung von mir Besitz ergreift, während ich die Entspannung ganz bewusst herbeiführen muss. Aber eben - nur mit kurzem Erfolg.
Der Mund ist schon ein hochsensibles Organ. Aber die Zähne nehmen da schon eine besondere Stellung ein. Ich meine jetzt nicht unsere Zahnstellung, sondern die Tatsache, dass sie gerne Schmerzen machen. Wenn wir unsere Zähne bekommen, tut das weh. Wenn wir unsere Zähne behalten wollen und pflegen wie ich neulich, tut das weh. Und wenn wir sie verlieren, tut das nochmals weh. Da nützt alles auf die Zähne Beissen nichts.
Friedjung Jüttner